12.12.2020
Liebe Freunde,
unser Steuerberater fragte mich soeben, warum er seit einiger Zeit keinen meiner Aufsätze hätte lesen können, ob ich ihn aus dem Verteiler gestrichen hätte. Zunächst war ich froh, dass er „hätte lesen können“ sagte und nicht „hätte lesen müssen“. Ich war nur faul. Er wird sich aber im nächsten Jahr mit einem Beleg über € 44.80 auseinandersetzen müssen und deswegen will ich jetzt schon erklären, was es damit auf sich hat.
Mit 44.80 könnte beispielsweise ich den Tank meines Skoda Fabia füllen, dessen Bordcomputer dann 700 km Reichweite anzeigt. Wohin führen dieser Tage aber 700 Kilometer? In die Quarantäne! Ich könnte auch 14-mal an den Tegernsee fahren, zu meinem bevorzugten Weinladen. Mit einem 215.213 km alten Skoda ist man in Rottach-Egern nicht unbedingt ein Aussätziger, obwohl, wie wir seit Gottfried Keller wissen, Kleider Leute machen. Als Keller seine Novelle 1874 schrieb, gab es noch keine Autos, sonst hätte die Geschichte vielleicht Autos machen Leute geheißen. Goldach, so heißt der fiktive Ort bei Keller, wo ein Schneidergeselle für einen Grafen gehalten wird. Am Tegernsee dagegen lässt sich ein Adelstitel erheiraten.
Als ich kürzlich vor besagtem Weinladen hielt, parkierte kurz darauf neben mir ein luxuriöses Cabriolet, dessen Fahrerin a) blickte, als hätte ich besser am Hintereingang gehalten und b) nicht fröhlicher schaute als es beim Zahlen „Herr Doktor“ hieß. Dabei war das nur die Berufsbezeichnung, die wiederum a) auf der EC-Karte stand und b) mal dazu beigetragen hatte, den négociant en vins von seinem Hexenschuss befreit zu haben.
Bleiben wir zunächst beim Wein: für 44.80 lässt sich auch ein manierliche Flasche Champagner erwerben, allerdings auf der nach oben offenen Blanc-de-Blanc Skala eher Mittelklasse, denn Wilhelm Busch schrieb: Mit scharfem Blick, nach Kennerweise, seh ich zunächst mal nach dem Preise, und bei genauerer Betrachtung, steigt mit dem Preise auch die Achtung (oder sinkt).
Dies wissend, ließ im Paris der 1920 er Jahre die Armenierin Kalantan in ihrem Salon ihrem Gast Tito Arnaudi durch ihren Majordomus Csaky den Champagner in einfachen Wasserkaraffen servieren: Den Champagner in seiner Flasche mit seinem Etikett auf den Tisch bringen, ist als ob man ein Geschenk darbietet, an dem man den Kaufpreis angeheftet lässt. Wer mag, kann das in Pitigrillis 1927 erschienenen Roman Cocaina: Romanza nachlesen. Dort lesen wir aber auch das traurige Ende der Romanze, denn Tito, im Konflikt zwischen Kalantan und der Tänzerin Maude, beschließt, seinem Leben ein Ende zu bereiten und an einer Seuche zu sterben. Dazu stiehlt er eine Phiole Typhus-Bazillen, stellt seine Ärzte vor ein Rätsel und stirbt. Maude wiederum nutzt seine Asche, um die Tinte ihrer Korrespondenz zu trocknen. Nicht zur Nachahmung empfohlen, vor allem, weil § 33 im Abschnitt VII der Verordnung zur Durchführung des Bestattungsgesetzes ((Bestattungsverordnung (BestV) vom 1. März 2001 (GVBl. S. 92, 190, BayRS 2127-1-1-G), die zuletzt durch Verordnung vom 8. April 2020 (BayMBl. Nr. 191) geändert worden ist)) eine solche Verwendung nicht erlaubt. Allerdings gilt es hier einzuwenden, dass, als ein deutscher Bekannter vor Jahren starb, er verfügt hatte, dass seine Asche auf dem Grundstück seiner Schweizer Erbin am Genfer See verstreut werden solle, was auch passiert ist, da die Verordnung zur Durchführung des Bestattungsgesetzes keine Angaben zum Export einer Urne in Ausland, schon gar nicht ins nicht- EU-Ausland macht. Wir können uns und sollten uns, auch wenn uns aktuell eine Seuche bedroht, von diesem Thema abwenden, zumal das Internet-Angebot von Urnen zeigt, dass wir mit 44,80 nicht weit kämen, nicht mal beim Urnen-Discounter und schon gar nicht in die Urne selbst.
Nicht weit von uns, auf einem Hügel im Voralpenland, verkauft eine Kaffeerösterei, eine Kaffeemanufaktur, einen Jamaika Blue Mountain Kaffee, 250 Gramm für 44,80. Wenn ich dorthin fahre, muss ich im Skoda von fünften in den vierten, manchmal den dritten Gang wechseln, um den Hügel zu erklimmen und die Ausfahrt zu nehmen. Könnte ich an 44,80 drei weitere „Nullen“ dranheften, säße ich in dem 10 Jahre alten Maserati Gran Coupé, nero con rosse sedile in pelle, dass ich gestern Morgen „berufsmäßig“ gefahren bin und das das Schalten übernehmen würde. Aber dieses Nullen sind gerade nicht in der Geldbörse und dennoch halte mich jetzt nicht damit auf, warum ein halbes Pfund eines Kaffees 44,80 kosten muss - ein Münchner Feinkosthändler, bekannt aus der Vorabendprogramm-Werbung, verkauft ein Pfund für rund 6 €. Wie bei der Blanc-de-Blanc Skala gibt es eine solche auch beim Kaffee und ein Kilopreis von 1200€ ist durchaus normal für den Kaffee, der den Magen-Darm-Trakt des Paradoxurus hermaphroditus, des Fleckenmusags passieren muss, um zur Köstlichkeit zu werden. Als ich für einige Wochen in Kuala Lumpur arbeitete, wusste ich, wo ich hätte hingehen müssen, um ein paar Gramm des Kopi Luwak zu erstehen, beließ es aber bei einem Becken voller Doktorfische, die sich, naturheilkundlich geprägt, meinen Füssen widmeten. Aber von Kaffee zu reden, der einen tierischen Durchmarsch hinter sich hat, ist angesichts der aktuellen Seuche nicht gerade genial, schon auch deswegen nicht, weil entsprechende Etablissements in der hiesigen See-Umgebung ohnehin geschlossen sind, wo man mit solchen Erzählungen Eindruck hätte schinden können, wenn man es als Skoda-Fahrer denn wollte, aber aktuell keine Chance hätte, denn es gab einen Mordfall mit zwei Toten und einem Polizeieinsatz samt zu untersuchendem polizeilichem Schusswaffengebrauch.
Die Kaffeemanufaktur empfiehlt den Blue Mountain Kaffee als den Espresso schlechthin, was mich wundert, denn Ian Fleming resp. James Bond pflegten ihn zu trinken, zu Rührei und Speck am Morgen, wobei ich denke, dass die zur Zubereitung empfohlene Siebträgermaschine noch nicht Eingang in Fleming´s jamaikanisches Domizil Goldeneye gefunden hatte. Wir lassen uns den Kaffee in der French-Press Variante mahlen und der ideale Zeitpunkt ist gegen elf, manchmal in Gesellschaft mit einem Croissant und selbstgemachter Orangemarmelade und den Erinnerungen und Träumen: wie wir vor ein paar Jahren in der Bucht von Negril Hobie-Cat gesegelt sind, Strandspaziergänge in Gras-geschwängerter Luft zu Reggae machten, gelegentlich einen Appleton-Rum zum Kaffee tranken. Aber wo ist der Unterschied zum Jetzt: in der mittäglichen Novembersonne einen Blue Mountain Kaffee zu trinken, eine Pfeife zu rauchen, von Jamaica zu träumen, später einen Spaziergang durch Grummet-geschwängerte Luft zu machen. Ein Buch zu lesen, dazu Till Brönners On Vacation -CD laufen zu lassen und das alles für 44,80€. Ist doch toll in dieser Zeit, nicht wahr?
Beste Grüße
Peter (Schroeder)
Peter Schroeder - 07:55 @ Allgemein, Gesellschaft, Reisen | Kommentar hinzufügen