12.05.2020
Einer der bekanntesten plastisch-ästhetischen Chirurgen erzählte jüngst, dass er sich seit mehr als vierzig Jahren mit „Anti-Aging“ beschäftigen würde. Face-lift war das Stichwort und mit seinen vierzig Jahren hatte er, da das „Face-lift“ bald seinen 120.Geburtstag feiert, ein Drittel dieser Zeit begleitet. Der deutsche Chirurg Eugen Holländer beschrieb Anfang des 20.Jahrhunderts nicht nur die Reduktionsplastik der hypertrophen weiblichen Brust oder die Aufpolsterung des Gesichts durch Eigenfett, sondern eben auch die Straffung der Gesichtshaut. Seine erste Patientin war eine einstmals hinreißend beschriebene polnische Aristokratin, die ihm ein Foto zeigte und den Wunsch äußerte, dass Holländer sie wieder in diesen jugendlichen Zustand zurückversetzte. Er beklagte, dass er Opfer weiblicher Überzeugungskunst geworden sei, nachdem er dem Wunsch der Adeligen nachgekommen war.
Mit Erich Lexers Modifikationen, einem Zeitgenossen Holländers, der sportlich, sonnengebräunt und im Maybach 12 Cabriolet unterwegs, ging es wenig später in Richtung der heutigen Techniken. Ihre Epigonen fanden ihre Patienten unter den „Reichen und Berühmten“ - Gerüchte besagen, dass selbst Salvador Dali mit Hilfe des Brasilianischen Chirurgen Ivo Pisange, versuchte der Natur ein Schnippchen zu schlagen. Zusammen mit Botox, Füllern, Tabletten, trinkbaren Tinkturen als der nichtoperativen Wartung und ein oder zwei chirurgischen Maßnahmen sollte der Pausenknopf gedrückt werden können, um in einem Zeitraum von Mitte Dreißig bis Ende Sechzig nicht zu altern, zumindest nicht sichtbar.
Doch die Uhr läuft weiter, der innere Rost hat längst angesetzt. Es gibt Ansichten, bei denen Altern bereits sehr früh, schon vor der Geburt ansetzt, aber das ist dann eher eine Frage der Definition, denn vor dem Alterungsprozess, der uns zu Anti-Aging Maßnahmen veranlasst, kommt erst einmal ein Reifeprozess, der die ersten zweieinhalb Jahrzehnte unseres Lebens in Anspruch nimmt. Und in der zweiten Hälfte dieser ersten drei Lebensjahrzehnte stürmen die erste Zigarette, der erste Mojito, durchtanzte Nächte und mehr solcher Stimuli ein, bis dieses attraktive Leben plötzlich anstrengend wird und der Rest des morgendlichen Katers damit verbracht werden muss, die verknitterte Haut wieder auf Vordermann oder Vorderfrau zu bringen. Nicht jeder ist dann in der Lage, sich einer Vitamin-Injektion zu unterziehen, einem Cocktail aus Speed, Vitaminen, Steroiden, Enzymen, Hormonen, Plazenta, Knochenmark und tierischen Zellen auszusetzen, mit denen in den 1950er und 1960er Jahren der Arzt Max Jacobson mit dem Spitznamen Dr.Feelgood sein Klientel, darunter John F. Kennedy, Marylin Monroe oder Elvis Presley wieder fit und jung spritzte.
Dabei hat der Alterungsprozess viel mit unserem Chromosomensatz zu tun. Der ermöglicht theoretisch ein Lebensalter von bis zu 120 Jahren, praktisch wissen wir aber, dass von Ausnahmen mal abgesehen, bei den meisten von uns so um die 80 das Glöckchen läuten wird. Das Aging scheint zu funktionieren, mit zunehmender Tendenz. Nur das „Wie“ macht Kopfzerbrechen, nicht nur vor dem Spiegel, sondern in der dahinterliegenden Substanz. Zunächst hat das Älterwerden auch einmal nichts mit persönlichem Verhalten zu tun: beispielsweise ist der Anstieg der Lebenserwartung in unseren Breitengraden damit verbunden, dass die Sterblichkeit an kardialen oder cerebrovasculären Erkrankungen, die sich seit 1990 fast halbiert hat, auf die Verbesserung medizinischer Versorgung, auf die zunehmende Industrialisierung, den höheren Anteil arbeitender Frauen und dem parallelen Rückgang der Geburtenrate zurückzuführen ist. Letzterer führt gerade in Ländern mit regulierter Fertilität wie China oder Korea aber auch in westlichen Ländern mit life-style bedingten Geburtenrückgang zu einem Rückgang der arbeitenden Bevölkerung, die in einem funktionierenden Gemeinwesen bei etwa 70% liegen sollte. Der daraus resultierende Anstieg des Lebensalters fordert, einen Focus auf Anti-Aging Maßnahmen zu setzen, auf das Erreichen einer gesunden Langlebigkeit und auf das Vermeiden von Faktoren, die die Langlebigkeit einschränken, unterm Strich natürlich verbunden mit sozio-ökonomischen Aspekten, die zunehmend älter werdende und nicht mehr arbeitende Bevölkerung versorgen zu können.
Hier ist dann der Punkt, wo die Begriffe Altern und Langlebigkeit aufeinandertreffen
und Langlebigkeit die Herausforderung wird, das Altwerden zu meistern. Anti-Aging erhält eine ganz andere Dimension als die der äußeren Politur.
Vier Faktoren konnten definiert werden, die in einem regulierenden Netzwerk den Alterungsprozess kontrollieren: Stammzellfunktion, Endokrines System, Metabolismus und Immunität. Dabei beginnt der Alterungsprozess unmittelbar nach Beendigung des Reifeprozesses, also etwa beim Übergang von dritten ins vierte Lebensjahrzehnt. Wenn dem so ist, müssten Einflüsse identifiziert werden können, die die gesunde Homöostase des Reifeprozesses unterbrechen. Unter Normalbedingungen unterliegen Gewebe und Zellen einer Homöostase reguliert durch Apoptose, dgl. durch programmierten Zelltod, der dafür sorgt, dass beschädigte oder nicht ausreichend funktionierende Zellen entsorgt werden. Normalerweise reagieren Order reparieren sich aber beschädigte oder entzündete Zellen selbst über einen akuten chronischen oder akuten Entzündungsprozess, der Infektion. Jetzt wird es etwas kompliziert, denn, wenn Bedingungen zwischen Homöostase und Infektion schwanken, sei es durch milden progressiven Stress oder durch leichte Minderfunktion, tendieren Gewebe und Zellen letztlich zu einer Adaptation an die leicht veränderten Bedingungen und versuchen, ihre Funktionalität über entzündungsähnliche Abläufe auf niedrigem Niveau wiederherzustellen, was zur wissenschaftlichen Geburt des Begriffes „Inflamm-Aging“ geführt hat. Damit wird, zusammengefasst, eine low-grade, chronische, systematische Entzündung während des Alterungsprozesses, beschrieben, mit schließlich hohem Risikoprofil für Morbidität und Mortalität im älteren Menschen auf. Im Gegensatz zur akuten Entzündung mit Fieber, auf die man sofort reagiert, spürt man diesen Prozess nicht, er macht sich aber u.a. in den beschriebenen Veränderungen der Haut bemerkbar, kann gleichsam das Beet für Tumorerkrankungen düngen und den therapeutischen Effekt einer Chemotherapie herabsetzen. Die üblichen Verdächtigen für den Start des Inflammaging sind, Stress, Nahrungs- und Schlafgewohnheiten, Übergewicht, Diabetes. Es bilden sich vermehrt Makromoleküle und diese sowie nicht eliminierter Zellabfall wirken dann wie Bakterien, die auf ein nicht mehr kompetentes Immunsystem treffen und den Entzündungsprozess auslösen, nur dass der, wie erwähnt unbemerkt abläuft und nicht auf Antibiotika ansprechen würde. Eine zweite Quelle soll das menschliche Mikrobiom sein, dessen Stoffwechselprodukte die Barriere der Darmwand überschreiten, in den Blutkreislauf gelangen und den Inflammationsprozess triggern.
Der Ansatz, sich diesem Phänomen zu stellen ist ebenso einfach wie schwierig. Schwierig deswegen, weil es anders als beim Antibiotikum die Lösung schlechthin nicht gibt. Viel ist geschrieben, gesagt und empfohlen worden: Die Vermeidung von diesem steigert die Lebenserwartung um bis zu 50% und die Verwendung von Jenem bringt noch mal weitere 50%. Doch am oder nach dem Ende des Lebens reibt man sich verwundert die Augen und vermutet traurig, jeweils bei der anderen Hälfte gewesen zu sein. Wir verdanken aber Kenntnisse über Lösungsansätze einem Wurm, dem Caenorhabitis Erlegens und einem Fisch, dem Türkisen Prachtgrundkärpfling. Besonders letzterer weist einen unserem Genom fast identischen Chromosomensatz auf und beide altern im Zeitraffertempo. Schon seit dreißig Jahren ist für den Wurm bekannt, dass eine Kalorienrestriktion seine Lebensspanne verändert und beim Fisch löste Resveratrol denselben Effekt auf. Beginen wir beim Resveratrol, einer Wundersubstanz, die sich mittlerweile in vielen Tinkturen und Cremes finden lässt. Einfach nachzuvollziehen, dass tägliches Eincremen nicht unbedingt Langlebigkeit hervorrufen kann und Kapseln haben ein ähnliches Schicksal, weil nur ein geringer Teil vom Darm aufgenommen wird. Pinot Grigio-Fans haben es im Übrigen schwerer - Resveratrol ist ein Bestandteil der roten Traube.
Kalorienrestriktion ohne Mangelernährung, der zweite Ansatz, klingt sehr nach Hungern oder Vermeiden, ist aber ein einfaches Prinzip einer kalorisch ausreichenden Ernährung. Im Umkehrschluss und eigentlich eine Binsenweisheit, Übergewicht wirkt lebensverkürzend. Wenn eine Krebserkrankung als Hauptgegner der Langlebigkeit gilt, soll Übergewicht und die damit verbundenen Ernährungsgewohnheiten für rund 30% der Krebserkrankungen verantwortlich sein. Wenn dem Kaffee jetzt nicht unbedingt karzinogene Eigenschaften zu gesprochen werden, ist er jedoch ein gutes Beispiel, wie sich Ansichten zu diesem Muntermacher im Laufe der Zeit ändern. Im Medizinstudium wurde lange Zeit vermittelt, dass Kaffee das Zellgift schlechthin ist: Arteriosklerose, Bluthochdruck. Dass schwarzer Kaffee schön machen soll, hing eher damit zusammen, dass auf Dickmacher wie Milch und Zucker verzichtet wurde - auch eine Form der erwähnten Kalorienbeschränkung. Jüngst wurde eine Studie veröffentlicht, die ziemlich das Gegenteil beschrieb: Kaffee schützt vor Herztod und Schlaganfall und hat keinen Einfluss auf den Bluthochdruck. Für unser Krebsbeispiel gilt, dass Kaffee ebenso das Erkrankungsrisiko herabsetzt wie das, im Alter an neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer oder Demenz zu leiden. Das „Wieviel“ ist allerdings offen. Zuviel kann Angstgefühl, Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen auslösen und eine höhere Knochenbruchneigung bei Frauen bewirken. Und so ist es mit vielen Nahrungs- oder Nahrungsergänzungsmitteln, wie z.B. beim Vitamin A, das notwendig für die Zellregeneration, also für eine gesunde straffe Haut ist, im Zuviel aber für Knochenbrüche oder Leberzirrhose verantwortlich sein kann und senkt sogar die Lebenserwartung. Oder Smoothies mit Rezepturen, die unter anderem Spadolini als Vitamin B12 Lieferant enthalten können. diese Blaualgen sind tatsächlich reich an B12, nur sind 80% vom menschlichen Organismus nicht verwertbar und enthalten zudem kanzerogene Microcystine.
Es muss und sollte also eine überschaubare und nachvollziehbare Methode geben, die ohne dauernd erhobenen Zeigefinger effektiv und nachvollziehbar sein sollte. Die so einfach ist, wie der Weichzeichner-Button im Adobe-Photoshop. Gehen wir mal von einer moderaten Kalorienreduktion aus - wie sollte diese aussehen?
Oft befürchtet man auch nach Lesen von Ratgebern, dass die Vorschläge einfach nur viel teurer sind als der Gang zum Discounter. Eine in Frankreich durchgeführte Analyse basierte auf durch die Probanden selbstgewählte Nahrungsgewohnheiten vor dem Hintergrund nahrungsbezogener Greenhouse Gas Emissionen (GHGE). Die Schlussfolgerung war, dass ein Fünftel der französischen Erwachsenen eine Diät mit hoher Ernährungsqualität und einem um 20% reduzierten Treibhauseffekt ohne höheren Kostenaufwand zu sich nahmen. Sie waren der Meinung, das niedrige GHGE und gesteigerte Nahrungsqualität durch sorgfältige Auswahl, durch weniger Fleisch und Alkohol, einen höheren Anteil von Gemüsen und insgesamt einer moderateren Nahrungsaufnahme zu erreichen sind.
Nimmt man Gewichtsverlust, Normalgewicht und Kalorienreduktion sowie Zusammensetzung der Nahrung als Parameter zum Erreichen und Aufrechterhalten von Langlebigkeit, stellt sich natürlich die Frage der Beratung. Deirdre Tobias von der Harvard Medical School erteilte nach Auswertung von 53 Studien mit über 60.000 Probanden den Low-Fat-Diäten eine klare Absage. Diäten mit geringen Kohlehydraten-Anteilen waren effektiver als solche mit geringem Fettanteil. Ein Unterschied zu Diäten mit höherem Fettanteil bestand ebenso wenig.
Epidemiologische Untersuchungen konnten zeigen, dass beispielsweise der Anteil des Dickdarmkrebses in Ländern des Mittelmeerraumes deutlich niedriger ist als in unseren Breitengraden. Nachfolgende Analysen der Ernährungsgewohnheiten führten zu einem Konzept, das „Mediterranean Diet“ genannt wurde. Um gleich einem Irrtum vorzubeugen, damit ist nicht die preiswerte und bequeme Tiefkühlpizza gemeint, sondern, wie wir gleich sehen, eine bewusste Verwendung möglichst frischer Lebensmittel. Den verschiedenen Varianten dieser „Diät „ist die Komposition der Bestandteile gemeinsam: ein hoher Anteil von Gemüsen, Früchten, Körnern, Olivenöl und (Salzwasser-)Fischen; ein geringer Anteil an saturierten Fetten wie Butter und Speck, rotem Fleisch, Geflügel, Milchprodukte und einem regulären, jedoch moderaten Genuss von Alkohol, namentlich Rotwein - Resveratrol, zum Essen. Es lässt sich leicht erkennen, dass es an nichts mangelt - es kommt lediglich auf die Menge an. Vervollständigt wird das Konzept noch durch Empfehlungen zu einer möglichst ausgeglichenen Lebensführung, deren Basis aus ausreichendem Schlaf und Sport besteht. Auch hier haben Veröffentlichungen gezeigt, dass die Verwendung von Olivenöl sinnvoller und präventiver ist als Low-Fat-Diäten. Im Zusammenhang mit dem vorgenannten Inflamm-Aging ergab sich eine positive Korrelation mit der MD und einer reduzierten Zahl an weißen Blutkörperchen, an Leuko- und Thrombozyten, somit einem anti-inflammatorischen Effekt und einer Schutzfunktion vor Erkrankungen mit entzündlicher Genese, womit hauptsächlich arteriosklerotische Veränderungen gemeint waren, aber auch eine Senkung der allgemeinen Mortalität, von kardiovaskulären Erkrankungen, vom chromogenem Schlaganfall und der bereits erwähnte Abnahme in Entwicklung verschiedener Krebserkrankungen, namentlich der Dickdarm-Karzinome.
Wissenschaftlich allgemein anerkannt ist die Rolle der MD in der Erhöhung der Lebenserwartung und einer Verbesserung der allgemeinen Gesundheit. Daraus abgeleitet gilt die MD nicht allein als Nahrungsempfehlung, sondern als Anleitung einer Lebensführung. Die in Barcelona ansässige „Mediterranean Diet Foundation“ hat daraus ein pyramidenartiges Konzept eines „Mediterranean Lifestyles“ abgeleitet. m Man kann das Konzept der Mediterranean Diet auch in zwei andere Worte fassen: Gesunder Menschenverstand oder wie es der römische Philosoph Seneca ausgedrückt hat: „„Wie lange ich lebe, liegt nicht in meiner Macht; dass ich aber, solange ich lebe, wirklich lebe, das hängt von mir ab.“
Es hängt, um einen kurzen Blick in die Zukunft zu geben auch vom wissenschaftlichen Fortschritt ab, auch wenn sich der mehr auf Anti-Aging Maßnahmen zur Therapie und Prävention fokussiert. Resveratrol als Tablette, Substanzen wie Rapamycin oder Metformin wird ein verjüngender, Langlebigkeit versprechender Effekt zugesprochen. Spannend ist der Ansatz über Stammzellen oder das Reprogrammieren bereits gealterter Zellen den Alterungsprozess zu verlangsamen. Es ist sicher zu früh, in diese Forschungsergebnisse die Hoffnung zu setzen, ohne Tinkturen oder operative Eingriffe wieder ein junges Gesicht zu erhalten
Das soll, um wieder an den Anfang zu gelangen, keine Absage and Kosmetik und Face-lift sein, insbesondere deswegen nicht, wenn eine solche Maßnahme subjektiv das Gefühl vermitteln kann, tatsächlich jünger zu sein oder zu bleiben. Objektiv betrachtet, glänzt die Oberfläche und der Rost frisst sich, ohne parallellaufende Maßnahmen, innen weiter.
*Erich Lexer (18767-1937) gilt zusammen mit Jacques Joseph als Begründer der Plastischen Chirurgie. Seine Verdienste sind unbestritten. Ebenso unbestritten ist seine Mitgliedschaft in der SS und seine Verstrickung in die Zwangssterilisationsmaßnahmen des NS-Rassenhygiene-Programms
Peter Schroeder - 07:54 @ Allgemein, Gesellschaft, Medizin, Panorama | Kommentar hinzufügen
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