Peter Schroeder
 

Blog


04.08.2020

Luftmatratze

Liebe Freunde!

Es ist Ferienzeit, wir sind in Ferien und deswegen sind die folgenden Zeilen der Luftmatratze gewidmet und einer Zeitreise, deren musikalischer Teil keiner kongruenten Zeitleiste folgt

Als die Welt noch ausschließlich analog war, besaß ich meine erste Luftmatratze. Sie war zweifarbig: navy-blue auf der einen, das Rosso von Alfa Romeo auf der anderen Seite. Sie bestand aus einem Zweikammersystem, Kopfteil und Körper, der aus längs angeordneten Rippen bestand. Aufblasbar über zwei Ventile, vor allem aber aus einem Gummimaterial, das Reparaturen mittels Vulkanisier-Set erlaubte.

All das am Wörthersee

Etwa in derselben Zeit hatten wir neben einem Radio mit Magischem Auge einen Dual-Plattenspieler und ich meine erste Schallplatte I´ve got you babe von Sonny und Cher, 45er rpm.

Retrospektiv ist diese Scheibe ungewöhnlich, denn altersbedingt war es mit den Babes noch nicht so weit her, von I´ve got you gar nicht zu reden. Ob es daran gelegen hat, dass unser Biologielehrer uns den Unterschied zwischen Männern und Frauen an einem Skelett erklärte (über Einzelheiten von dieser Stunde zu sprechen, verbietet heute die Schicklichkeit, dafür habe ich später alle rund 200 Knochen des Skeletts benennen können). Der Lateinunterricht war nicht hilfreich, auch wenn von Catull über Sallust bis Ovid ausreichende liebevolle Texte zu übersetzen gewesen wären. Wahrscheinlich wohl deswegen, weil, wie die jüngere Forschung ergeben hat: Ganz ähnlich wie im antiken Griechenland (Altgriechisch lernen musste ich auch) waren Liebe und Ehe in der römischen Lebenswirklichkeit zur Zeit Catulls kaum aneinander gebunden. Stattdessen galt es Kriegszüge zu begleiten, angefangen mit G.J.Cäsars De Bello Gallico, von dem es das erste Kapitel auswendig zu lernen galt: Gallia est omnis divisa in partes tres, quarum unam incolunt Belgae, aliam Aquitani, tertiam qui ipsorum lingua Celtae, nostra Galli appellantur.  (Nicht das mir das damals oder heute locker von der Zunge käme, wofür gibt es jetzt schließlich das Internet). Der Gedanke an meine Mutter, die eventuell beim Vokalabhören stattdessen den Satz Romani, servate uxores; moechum adducimus calvrum hätte abfragen müssen, dabei vermutlich errötet wäre, lässt den Bericht über diesen Lebensabschnitt enden, denn übersetzt heisst der Satz, den seine Soldaten über G.J.Cäsar sprachen: Römer, schließt eure Frauen ein, den wir bringen den kahlen Cäsar, den großen Ehebrecher.

Es ist Ferienzeit und für dem Weg in die Ferien hält sich Zucchero im Infotainment-Bereich des Autos auf: Bacco Per Bacco. Das Vorspiel, d.h. in der Popmusik heisst es wohl: das Intro beginnt still, lieblich und weist den Weg zur Autobahn, wo dann die Basslinie einsetzt, die einem getunten Golf II auf 10“ Felgen auf dem Weg zum Wörthersee gut anstehen würde. Wir dagegen biegen am Inntaldreieck rechts ab und werden bald -ich kannte den Ausdruck bis vor einer Stunde nicht - zum Stehhunderter werden, also dort wo die Österreicher Asfinag heißen und eine IG-L Begrenzung eingeführt haben, so dass der Automobilist die Maut eine Weile auskosten kann. Als Stehhunderter habe ich den Tempomaten auf ungehörige 105 eingestellt, um sogleich für die Österreicher, die noch Österreicher sind und keine Asfinags zum Verkehrshindernis zu werden. Für die Beifahrerin, die ungeduldig 110 vorschlägt, drehe ich beim Refrain von Bacco Per Bacco die Lautstärke hoch Baby don’t cry, Make it funky, Pane e vino io ti porterò’, Miele e venere su dai campi… Was die jugendfreie Version davon ist, geduldig auf den Brenner zu warten, wo im selben Tiroler Bundesland in der Höhenluft 130 erlaubt sind, für die man aber extra zahlen muss, Maut, kein Speed-Ticket!

Meine nächste Luftmatratze, dazwischen liegen unglaubliche 51 Jahre, besteht aus Plastikfolie. Ab jetzt soll sie materassino heißen, was auch viel besser klingt. Dieser neuen könnte man Umweltgründe entgegenhalten. Nachdem ich gelesen habe, dass auch die Bio-Genossenschaft Bunde Wischen im Winter ihre 900 Rinder mit Heu oder Silage, zur Lagerung umwickelt mit Plastik, füttert, finde ich meine, d.h. wir haben zwei, Luftmatratzen nicht umweltunfreundlich, zumal wir sie seit vier Jahren sorgsam pflegen. Sie ist so gänzlich anders als das Vorgängermodell. Zwar auch nur zwei Kammern, diese aber durchsichtig, unterteilt und durch Vorrichtungen stabilisiert, die sich zur Aufnahme eines Longdrinks eignen. In 25 Sprachen steht draufgedruckt, dass sie nicht vor Ertrinken schützt, dass sie nur für Schwimmer ist. Piktogramme weisen darauf hin, dass man das Paddeln auf Weltmeeren besser unterlässt. Zudem: in Australien dürfen sie nur unter Supervision genutzt werden, aber Down Under kann man vielleicht eher runterfallen.

Es ist erstaunlich, welche Körperbeherrschung der jetzt ältere Materassino-Capitano beherrschen muss, um überhaupt an Bord kommen zu können, weil Sonnenöl und glatte Plastik-Oberfläche sich nicht gerade miteinander zu vertragen scheinen. Vorher gilt es noch, die eigene Vitalkapazität zu überprüfen, denn die Materassino muss aufgeblasen werden. Früher, an der Universitätsklinik, wurde dazu ein Metallzylinder fast in der Dimension eines Badezimmerboilers benötigt, in den man hineinblies, um zu beobachten, dass ein Metallstab nach oben stieg, um dann die Vitalkapazität bzw. das Lungenvolumen anzuzeigen. Heute wird das, wie langweilig, digital angezeigt, so dass eine in kurzer Zeit aufgepustete Materassino stolz beweist, noch über ausreichende Vitalität zu verfügen.

Das Gewässer ist in diesen Tagen ein 10 x 5 m großer Swimming-Pool, malerisch im Garten eines Rusticos und beides malerisch in Toskanischem Wald und Olivenhainen gelegen. Musikalisch gehört zum Stapellauf auf jeden Fall Pink Floyd´s St.Tropez, wenn auch dieser Ort einige Küstenstriche weiter nordwestlich liegt. Auch Peter Sarstedts Where do you go to (my Loveley) ist so ein Easy-Listening, mit traurigem Hintergrund, weil Sarstedts Freundin sich in den Jet Set und deren Pools, die man in Slim Aarons wunderschönen Bildbänden bewundern kann, verabschiedet hat. Dem Cineasten fallen die beiden gleichnamigen Swimming Pool Filme ein, der erste mit Alain Delon und Romy Schneider (mit Lamborghini und Mord), der zweite mit Charlotte Rampling und Ludivine Sagnier, letztere auf einer matelas d’air, die meiner Luftmatratze ähnelt.

Sonnenbaden am Strand im Sand ist nicht so mein Ding, Waldbaden übrigens auch nicht. Im Pool auf der materassino dagegen, ist es ein kühles Vergnügen, mit iPod oder E-Book, stundenlang. Dabei las ist ein skurriles Buch Brennerova von Wolf Hass, einem im Salzburger Land geborenen Autor, von dem ich eben das Wort Stehhunderter gelernt habe. Ihm sowie den Salzburgern unter den Adressaten können wir gerade zur Geburt von Tamika gratulieren. Toll, was den Österreichern gelingt: vierbeinige und vierrädrige Haflinger und jetzt ein vierbeiniges Breitnashorn-Baby.

Das andere Buch, das mich beschäftigt hat, stammt von Laurent Binet und heisst Die siebte Sprachfunktion. Darin wird aus einem Gedicht von Joachim Du Bellay zitiert Glücklich, wer wie Ulysses glorreich die Welt durchfahren, / Oder wie jener Held, der sich das Vlies gewann….

Das Vlies ist bekanntermaßen das Χρυσόμαλλον Δέρας, das Goldene Vlies, in der Kurzfassung eine Geschichte von Liebe, Eifersucht, Entführung, Kindesmord und einem niemals schlafenden Drachen, der aber einmal nicht aufgepasst hat, so dass die Argonauten das Vlies geklaut haben. Woraus sich wieder erkennen lässt, auf welche kriegs- und mordlüsterne Basis sich unsere oder zumindest meine humanistische Bildung stützt.

Wenn der Swimming-Pool-Ulysses unter den letzten Klängen Chet Bakers With 50 Italian Strings die Gestade, d.h. die sichere Leiter am Beckenrand erreicht hat, wenn sich bald darauf, Vongole auf kleiner Flamme köchelnd, an einem Schuss Vermentino berauschen, bleibt noch Zeit für einen Slow-Fox auf der Terrasse zu Stan Getz East of the Sun (and west of the Moon).

Doch irgendwann, nicht allzu bald, spricht noch einmal Joachim Du Bellay: Wann schau ich wann, den Rauch, der aus dem Dörfchen steigt/ Bis ich es wiederseh, mein Haus, den kleinen Garten.

Für alle, die deren Ferien noch vor Ihnen/Euch liegen

Buon´ vacanza

Peter (Schroeder)

Peter Schroeder - 09:06 @ Allgemein, Gesellschaft, Panorama, Reisen | Kommentar hinzufügen

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