Peter Schroeder
 

Blog


29.09.2020

Polizei am Tegernsee

Bevor ich über die Polizei am Tegernsee schreibe, muss ich ein Geständnis ablegen:

ich bin zu einem genetischen Viertel Polizist. Mein väterlicher Großvater Emil war Polizeioffizier in einer Hafenstadt am Niederrhein.

Eines Nachts wurde er von einer Horde SS-Leuten aus dem Bett geprügelt, weil er deren Meinung nach bei Schießerei, bei dem ein SS- und ein SA-Mann zu Tode gekommen waren, auf der falschen Seite gestanden habe. Schwerverletzt wurde er in einem offenen Auto zur Schaustellung durch den Ort gefahren. Zuvor war er in einer Sitzung der Stadtverordneten der Feigheit bezichtigt worden und lebte, suspendiert, eine Weile im Verborgenen. Der Großvater war zu der Zeit Ende Vierzig, seine Söhne Teenager und er als Diabetiker nicht ganz gesund. Er starb an den Folgen der Prügelei.

Als nach dem Krieg die Angelegenheit vor einem Gericht aufgearbeitet werden sollte, wurde der Prozess bald eingestellt, weil a) die geladenen Augenzeugen von nichts mehr eine Ahnung hatten und b) der Gesundheitszustand im allgemeinen ohnehin nicht mit einer angemessenen Lebenserwartung zu vereinbaren sei. Die Neue Ruhr Zeitung berichtete am 10.März 1950 darüber.

Ich selbst bin im Laufe der Jahre nur wenige Male überhaupt und noch weniger am Tegernsee mit den hier in schickes Blau gekleideten Ordnungshütern in Kontakt gekommen.

Das erste Mal betraf einen frühzeitig in Rente gegangenen LKA-Beamten, den ich wegen einer schwärenden Wunde, die ich selbst nicht verbrochen hatte, behandelt habe. Schwierig, aber wie er mir sagte, war der Therapieerfolg schneller als mancher Ermittlungserfolg.

Der nächste Kontakt ergab sich aus meiner früheren Tätigkeit als Chirurg. Der Tegernsee liegt im Landkreis Miesbach und die dort ansässigen Hausärzte versichern glaubhaft, Tag und Nacht die Sicherstellung der Ärztlichen Betreuung ihrer Patienten zu gewährleisten. In Praxi schließen sie freitags um zwölf ihre Praxis und überlassen die Sicherstellung auch Fachärzten, weswegen mich eines späten Samstagnachmittages im November die Polizeiwache unserer Marktgemeinde bat, einen Totenschein auszustellen. Auch wenn es keine Eile hatte wollte ich sofort losfahren. Man bat mich aber, zu warten, weil gerade ein Einsatz lief. Wir sollten uns am Friedhof treffen, so hieß es, man würde mich anrufen, wenn es so weit sei. Dort traf ich auf einen Streifenbeamten, der fragte, ob ich wüsste, wo die Leichenhalle sei. Das weiß man als Arzt nicht unbedingt. Also verneinend, stapften wird durch die neblige Novemberfeuchte über den Friedhof und fanden schließlich eine Tür. Dahinter eine Reihe von Särgen, bei denen der Beamte mir half, den richtigen zu finden. Ich zog den Sarg heraus - der junge Polizist hielt sich im dunklen Hintergrund auf - hob den Deckel und blickte auf Füße, unschwer als die eines Toten zu erkennen. Es galt aber, die Todesursache herauszufinden, wozu die Inspektion des Kopfes gehörte, denn der Verblichene hatte seinem Leben durch einen Sprung von einer Autobahnbrücke in die Mangfall, in der er dann einige Zeit gelegen hatte, ein Ende bereitet. Das hatte der hinzugerufene Notarzt schon als offenes Schädel-Hirntrauma attestiert, jedoch den Todesschein nicht ausgestellt, weil das Angelegenheit des Hausarztes sei, was wiederum im Falle dieser Todesart einigermaßen skurril ist, denn den Hausarzt gibt der Suizidale zumeist nicht an.

Beim nächsten Mal recherchierte ich den Tod von Bonnie McNamara vom Juni 1970. Der freundliche Kommissar in Miesbach wies darauf hin, dass seiner Zeit die bayerischen Beamten beim Tod von amerikanischen Staatsbürgern, froh waren, eine Retractio präcox antreten zu können. Wer mag, kann die Geschichte in meinem Buch McNamara Racing -Der Weg von Lenggries nach Indianapolis nachlesen. Der Todesfall, zwar tragisch und unnatürlich, war aber kein Verbrechen, dagegen das Ende der Firma mit einigen Gaunereien verbunden war. Die wurden aber nicht gerichtsnotorisch, weil die Polizei angesichts der Tatsache, dass die Verstorbene und der frisch gebackene Witwer US-amerikanische Staatsbürger waren, froh war, den Fall der Besatzungsmacht überlassen zu können.

Schließlich, beim letzten Mal, klingelte ein Polizist an unserer Haustür auf der Suche nach einem silberne BMW-Coupe, eines Typs, den auch meine Frau fuhr. Wir konnten das bei einem Kaffee schnell klären, wohl auch, weil der Beamte sich mehr für unsere Einrichtung samt Wandbildern interessierte.

Wenn ich jetzt aus dem früheren Leben in Kiel/SH oder Bielefeld/OWL noch ein paar  kardiale Herz-Messerstichverletzungen, Alkoholstürze, nächtliche Fahrten in englischen Streifenwagen mit gekühltem Organ von Heathrow in das britische Herz-TX-Zentrum Harefield Hospital  von Magdi Yakoup  oder einige 1000 DM Bargeld  in der Handtasche einer himmelblau-paillettenslip-bekleideten verkehrsunfall-bedingt intensivpflichtigen Sylt-Touristin mit dazu nehme, dann ist das Tegernseer Tal schon ein wenig provinziell und das Leben Kriminalroman genug.

„Mordtechnisch“ gesehen lebt man am Tegernseer Tal, wir wohnen in der Nähe der für das Tal zuständigen BAB 8-Ausfahrt, recht sicher, wenn auch das Google-Ergebnis eine andere Sprache spricht: 139.000 Ereignisse in 0.44 Sekunden mit dem Stichworten „Mord am Tegernsee“. In Wirklichkeit weist der initiale Bildschirm auf Horror-Mord, Tegernseer Sehenswürdigkeiten und das Wetter hin, ehe er sich den tatsächlichen Fällen widmet, dem Badewannen-Mord oder einem anderen Fall mit einer Handtasche als Tatwaffe, so etwa zwischen 2013 und heute.

Literarisch ist die Situation eine andere. Ein erster Vorfall, um als Insasse auf einer Zeitungsseite oder zwischen zwei Buchdeckeln zu landen, findet sich 1677 über einen Bösewicht, verurteilt wegen übermäßigem Prantwein-Trincken. Harmlos im Vergleich zum Mord auf der Bernauer Alm, wo ein Bauernsohn aus Hagrain (Ortsteil von Rottach-Egern) 1829 die Sennerin Marian Winkler, Tochter des Doindlbauern, umbrachte. Sie war von ihm gesegneten Leibes, was aber mit seinen eigentlichen Heiratsplänen nicht konvenierte. Er hatte Glück, denn seine Todesstrafe wurde in lebenslängliche Haft umgewandelt.  Seine Verehrerin musste sich anderweitig umsehen.

Neueren Datums sind die literarischen Morde mit Lokalkolorit, bei mir in guter Tradition zu Inspector Morse stehend, dessen Erfinder Colin Dexter dem Daily Telegraph zufolge einmal in einem Interview in einem Café Aufsehen erregte, als er sagte, er habe 18 Menschen auf dem Gewissen. Das sind weniger als 1,38 Tote pro Erzählung. Hier ist es ein Vielfaches.  Morse trank zu jedem Pint einen Scotch, die die oberbayerische Staatsmacht repräsentierenden Herren Wallner, Kreuthner und die Frau Loop sind mehr Bier und Wein zugetan, der Beamte Quercher dem Cannabis. Die Bücher als Zuagroasda zu lesen, hatte Charme, war man als Preusse nicht gleich willkommen, obwohl oder weil man als auch proktologisch tätiger Chirurg den Finger in so manchem bayerischen A…h hatte. So konnte man sich aber mit Land und Leuten vertraut machen.

Ich kenne keinen der Autoren persönlich, möchte aber die Figur des Max Quercher hervorheben. Er ist der Cannabis-Freak und muss sich in seinen Fällen mit der oberbayerischen Polit-Mentalität auseinandersetzen. Sein Hang zum Hanf ist insofern bemerkenswert, als die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, die CSU-Abgeordnete Daniela Ludwig aus dem Hanf-Anbaugebiet Rosenheim stammt und mit den Cannabis-Freunden überkreuz ist. Wenn man hier nur lange genug wohnt, jetzt sind es schon 15 Jahre, stellt man fest, dass die Dinge, die man vorher aus sicherer, weil skandalfreier schleswig-holsteinischer und/oder ostwestfälischer Entfernung (von der Barschel-Affäre mal abgesehen) mit Verwunderung und Ungläubigkeit gesehen hat, doch wohl real  waren. Roman Deininger hat das in seinem SZ-Beitrag (#211) zum 75. Geburtstag der CSU munter realistisch beschrieben. Ich bewundere den Mut des Quercher-Autors, die Dinge und Personen zwar nicht mit Klarnamen zu benennen, aber doch so, dass der Leser weiß, von wem oder was die Rede ist. Quercher hat allerdings ein Handicap. Er besitzt wie Bruno Chef de Police einen Hund. Wir würden nicht mal mit einem Joint einen Hund haben wollen. Bruno wie auch Luc Verlain, ein anderer Polizist aus dem Großraum Périgord im Süd-Westen Frankreich können nachahmbar kochen und einen Montbazillac zur Foie Gras nehmen oder einen Bergerac trinken. Das gibt´s am Tegernsee halt nicht.

Ich erhebe mein Glas Bergerac auf meinen Großvater Emil, der, würde er noch leben, angesichts der jüngsten Fälle in Mülheim/Ruhr - die Städte sind 15 km voneinander entfernt, vermutlich sagen würde: Seid wachsam!

Beste Grüße

Euer/Ihr
Peter (Schroeder)

Peter Schroeder - 12:14 @ Allgemein, Gesellschaft | Kommentar hinzufügen