12.12.2020
Liebe Freunde!
Die Großeltern waren soeben von einer kurzen Wanderung um den Dorfweier herum zurückgekehrt. Sie hatten sich noch einmal an frischer Luft erfreuen wollen, die von den Alpen ins Seental herunterfiel. Die Abendsonne hatte keine Kraft mehr, doch sie zauberte ein wunderschönes Licht, das sich in den Eiskristallen brach, die noch an den violetten Blüten der Luzernen hafteten. Sie hatten sich angeblickt: „De Staderer hot des ned“. Jetzt saßen sie auf der Ofenbank. Großvater hatte den Knaster in den mit dem Kini geschmückten Porzellankopf seiner Steckpfeife gesteckt, diesen mit dem Fidibus angezündet, während Großmutter einen Bierwärmer in Großvaters Deckelhumpen gesteckt hatte, damit das kellerkühle Dunkelbier nicht seine lodernde innere Glut verkühle. Großmutter lehnte sich an die Kacheln, um den von harter Arbeit geschundenen Rücken zu wärmen. Ihre zartgliedrigen Hände waren auf ihrem Schoß gefaltet, während Großvaters Füße in grauen, grün abgesetzten Filzpantoffeln steckten, die er beim Schuster im Nachbarort für ein Geringes hatte erwerben können. Großmutter hatte mit ihm gerichtet, er solle mit den Hauschuhen nicht immer durch den Frühtau zur Zeitung laufen. „Dua di ned so owe, des mach i scho“, sagte Großvater und ließ den Rauch des würzigen Tobaks durch die Nase entweichen.
Ich überlasse es jetzt der geneigten Leserschaft, zu entscheiden, ob sich diese Geschichte zum Dritten Advent so zugetragen hat, zu einer Zeit als der Schäfflerweg, wo wir wohnen, noch ein Feldweg war, vielleicht nicht einmal Schäfflerweg hieß. Oder ob es sich, um noch einmal und hoffentlich letztmalig, Donald Trump zu zitieren, um eine Fake Story handelt.
Auf jeden Fall erhielt ich in meiner Eigenschaft, zu dem Großvater/Senioren-Generation gehörend, einen Brief unseres Ersten Bürgermeisters. Der verwaltet nur 3.312 Einwohner und nicht wie sein Hamburger Erster Bürgermeister-Kollege 1.845.229. Deswegen hatte er wohl auch Zeit, mir persönlich zu schreiben, dass der Seniorenempfang im kommenden Jänner ausfällt. Großmutter saß, aber tatsächlich auf der Ofenbank, als ich den Brief vorlas und lächelte: „Jetzt bist Du wirklich alt!“, denn offenbar erhält man nur nach Passieren des 70. Geburtstages diese Einladung.
Nun stellt sich die Frage, ob zwischen Großelterndasein und dem Seniorenstatus überhaupt ein Zusammenhang besteht. Wäre man Mitglied im Deutschen Golfverband, wäre man ab dem 35. Geburtstag (Jung)-Senior, jetzt AK35, wobei man erstens dann bis zur eigentlichen Seniorenklasse (AK65) nicht altert, und zweitens, sich schon Mühe geben müsste, dann schon in der Altersgruppe AK35 Großmutter oder -vater zu sein. Dagegen hat der als psychologischer Psychotherapeut tätige und in Potsdam lehrende Prof. Dr. Harald Uhlendorff in einem Vortrag zum Thema „Großeltern und Enkelkinder“ einen Workshop vorgeschlagen, indem
die eigenen Anliegen und Ziele der teilnehmenden Senioren thematisiert (werden) und geklärt wird und dann der Schwerpunkt der mehrwöchigen Weiterbildung auf der Vermittlung entwicklungspsychologischen Praxiswissens (liegt), das nach den Bedürfnissen der Enkel, abhängig von ihrem Alter, geordnet wird.
Zum Ende der Weiterbildung, so heißt es weiter, öffnet sich der Blick über die eigene Familie hinaus. Dazu wird die Lebenssituation von anderen Familien am Ort beleuchtet und sinnvolle Möglichkeiten mitbürgerlichen Engagements werden erarbeitet. Insgesamt ist in Brandenburg ein Projekt erarbeitet worden, bei dem die Senioren eigene Ressourcen entdecken, weiterentwickeln und in der Folgezeit auch einsetzen können und das den intergenerationalen Dialog zwischen Alt und Jung sowohl innerhalb als auch außerhalb der Familie fördert.
Der Seniorenempfang wäre zur Beleuchtung hilfreich gewesen. Anderseits muss ich feststellen, dass ich, obwohl seit 15 Jahren hier lebend und die medizinische Versorgung sichernd, als Senior/Großvater vor allem ein „Zugroasda“ bin, was die Bereitschaft der dörflichen und in etwa gleichaltrigen oder älteren Ureinwohner, mal mindestens ein „Griaß Gohd“ zu bieten, praktisch gegen Null geht, deswegen ich mir auch nicht vorstellen kann, dass ich bei Kaffee und Kuchen mit ihnen zusammen meine eigenen Ressourcen entdecke. Es sei denn, ich würde den Tisch-Nachbarn auf einen Gebirgsenzian einladen, den ich praktischerweise in einer Beugelbuddel in der Jackentasche geschmuggelt hätte (der Bayer kennt, das hat die Recherche ergeben, nur den Begriff des Schnapserls aus dem „Flachmann“, wobei dieser eher preußische Begriff ihn nicht vom Genuss abhält). Allerdings muss erwähnt werden, dass dagegen, wenn man nicht von den DINKS, die in den luxussanierten Katen wohnen, auf dem Schäfflerweg überfahren wird, die GEEKS und NERDS immer zu einem fröhlichen „Servus“ aufgelegt sind.
So bleibt anlässlich einer Selbsteinladung der Enkelkinder dem auf der Ofenbank sitzenden Senioren- Workshop, zu überlegen, ob der Hausstand durch eine neue Carrera-Bahn - digital natürlich - aufgewertet und der intergenerationale(n) Dialog belebt werden kann.
Über die Rundenzeiten werden wir berichten.
Beste Grüsse
Peter Schroeder
Peter Schroeder - 08:07 @ Allgemein, Gesellschaft, Panorama | Kommentar hinzufügen